Montag, 20. August 2012

Nur geteilte Verantwortung bringt uns weiter

Kürzlich hat mich eine in der Schweiz lebende Amerikanerin - etwa in meinem Alter, also nicht mehr jung - gefragt, wo denn in der Schweiz - vor allem bei den jungen Frauen - das Bewusstsein der Emanzipation geblieben sei und ob es denn hier keine Feministinnen gebe. Sie sprach vom  allumfassenden Diktat des Schönseins nach Männerkriterien. Kaum eine junge Frau geht heute noch ungeschminkt auf die Strasse - zumindest in der Stadt -, der schlanke, (nicht immer geglückt) auf sexy gestylte Körper, die gefärbten Haare sind zum Normalfall geworden. Teure Kosmetika, Schönheits-OPs schon in jungen Jahren, Liftings, Zahnbleeching und, und, und… Das Diktat: Für Frauen ist Schönheit in jeder Situation und in jedem Lebensalter ein matchentscheidender Vorteil. Wer nicht mitmacht, hat schon verloren. Mit andern Worten: Frauen werden noch immer oder wieder ausschliesslich über ihre äussere Erscheinung wahrgenommen und tun (fast) alles, um (den Männern) zu gefallen. (Und wer glaubt, rundliche Frauen, die sich in Bikinis fotografieren lassen um zu beweisen, dass sie auch schön sind, würden sich dem Diktat entziehen, der irrt. Sie verfallen genau dem gleichen Muster, sonst müssten sie sich nicht auf diese Art beweisen. Und Männer, die das dann wohlwollend kommentieren, verhalten sich genau so sexistisch, wie diejenigen, die diese Frauen bloss stellen.)
Natürlich kann frau jetzt einwenden, dass es um Freiheit gehe, um Selbstbestimmung, um die Überwindung diskriminierender Tabus usw. Ist das so? Ich lasse mal alle diejenigen weg, die sich keine Gedanken darüber machen, woher diese Freiheit kommt, weil für sie schon seit Geburt selbstverständlich ist, wofür ihre Mütter und Grossmütter noch kämpfen mussten. Ich lasse auch diejenigen weg, die glauben, Heiraten und Kinder kriegen sei nach wie vor die einzig wahre Erfüllung eines Frauenlebens. Alle Anderen wissen, dass die Emanzipation nicht darin gipfelt, dass wir Frauen uns nun auch Stripper ansehen dürfen... http://www.tagesanzeiger.ch/ipad/zuerich/Frauen-sind-anspruchsvoller/story/31027639
Aber was bedeutet heute Feminismus? Kürzlich las ich, dass Frauen - weltweit - noch immer als Objekte und Männer eher als Personen wahrgenommen werden. Zwei Studien zeigen diese Mechanismen auf:  http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article108619670/Frauen-werden-primaer-als-Sexobjekte-wahrgenommen.html 
Wir wissen alle, wie stark unser Gehirn von Sexualhormonen beeinflusst ist und wie testosterongesteuert viele Männer denken. Aber welche Schlüsse ziehen wir daraus?
Sicher. Die Frauen sind heute selbstbewusster, sie haben Zugang zur Bildung, zur Berufswelt, sogar bis in höhere Chargen, in unserer westlichen Kultur ist der Weg bis in die politischen Machtzentralen zwar steinig aber möglich, und mittlerweile gibt es sogar ein paar wenige Exotinnen unter den Entscheidungsträgern der Wirtschaft. Aber noch immer bestimmen die Männer die Verhaltensregeln. In den allermeisten Fällen passt frau sich an, wenn sie es bis in die Männergremien schaffen will. Mit dem Resultat, wir bis heute keine wirkliche Gleichstellung erreicht haben. Nämlich die geteilte Verantwortung in allen Bereichen. Obwohl man heute weiss, dass Entscheidungen, die von einem gemischten Gremium gefällt werden, in der Regel nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich nachhaltiger sind.
Frauen und Männer sind biologisch unterschiedliche Wesen. Gott sei Dank! Es geht beileibe nicht darum, diesen Unterschied zu verkleinern oder zu verändern. Aber so lange dieser Unterschied bloss als Argument oder als Anlass für den Geschlechterkampf dient statt als Ansporn, gemeinsam eine bessere Zukunft zu schaffen, so lange ist die Menschheit noch längst nicht emanzipiert.
Ich frage mich, warum das so ist. Und ob wir jemals aus dieser Falle herausfinden. Schauen wir uns doch einmal um. Bei der Genderfrage liegt der klare Vorteil noch immer beim männlichen Geschlecht. Gejammer über Weicheier oder Frauenbonus hin oder her. Klar ist: Starke Frauen wünschen sich starke Männer. Umgekehrt müssten sich starke Männer eigentlich auch starke Frauen wünschen. Aber offenbar ist das ein Problem. Starke Frauen gelten als männlich, ausser sie setzen ihre Stärke in Form ihrer weiblichen Reize ein. Und genau das ist die Crux. So lange die Frauen ihre Ziele auf diesem Weg erreichen, verhalten sie sich angepasst und werden von Männern, von männlichen Denk- und Verhaltensmuster abhängig bleiben. Zum Nachteil der Gesellschaft. Denn starke Frauen sind sehr oft mutiger, im Denken unabhängiger und freier in ihren Entscheidungen. Das macht sie für Männer unberechenbar. Davor haben Männer offenbar Angst. Und diese Angst macht aus angeblich starken schwache Männer.
Die Stadt Zürich will Frauenquoten einführen. Auch so ein Reizthema. Ich war früher dagegen, weil ich dachte, dass Quoten eher schadeten, weil es die Frage der Alibifrauen aufwirft, resp. weil Frauen so auf eine neue, noch subtilere Art diskriminiert würden. Aber sehen wir es doch mal umkehrt:  Wie viele unfähige Männer sitzen schliesslich auf ihren Posten, nur weil sie Männer sind? Und wie viele unfähige Politiker muss die Welt eigentlich noch erdulden? Und wie lange glauben wir noch den hartherzigen, lebensfeindlichen Kirchenmächtigen, deren Ideologie dazu dient, das männlich geprägte Zerrbild der Gesellschaft zu zementieren.
Würde es besser, wenn Frauen bis in die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien gleichgestellt, resp. angemessen vertreten wären?
Ich bin keine Hellseherin, ich weiss es nicht. Ich bin aber überzeugt, dass es diese Chance gibt. Vorausgesetzt, die Frauen übernehmen nicht die Denk- und Verhaltensweisen der Männer. Und dafür braucht es wahrscheinlich die Quoten. Denn vorher wird jede Entscheidung zwangsläufig männlich dominiert sein. Das heisst, es werden auch keine oder zumindest keine entscheidend wirksamen Voraussetzungen geschaffen, die eine Gleichstellung in allen Bereichen und auf allen Ebenen überhaupt ermöglichen. Zu diesen Voraussetzungen gehören nicht nur die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, von denen  es noch immer nicht genügend gibt, sondern - wie wir alle wissen - vor allem die Teilzeitarbeit und das Jobsharing vom privaten Bereich bis in die Chefetagen. Und die Aufwertung sogenannter Frauenberufe. Zu diesen gehört neuerdings auch der Lehrerberuf. Was den Berner Erziehungsdirektor zur Forderung veranlasst, dass man für die Lehrer die Löhne erhöhen sollte, damit man vermehrt wieder Männer für den Job rekrutieren könne…
Ich plädiere nicht dafür, dass alle Frauen Chefs und alle Männer Hausmänner werden müssen. Ich plädiere auch nicht dafür, dass Frauen sich nicht für die konventionelle Lebensform mit Mann, Kinder, Heim und Herd entscheiden sollen. Und ich plädiere schon gar nicht dafür, dass Frauen ihre Schönheit oder ihre Reize verstecken sollen. Aber ich plädiere dafür, dass Schönheit nicht bloss von der Werbung definiert wird. Und ich plädiere dafür, dass Frauen nicht nur auf irgendwelchen Gleichstellungspapieren, sondern tatsächlich als gleichwertige Menschen gesehen und behandelt werden wie Männer. Wer sagt, das sei in der westlichen Zivilisation schon jetzt Allgemeingut, der stellt sich blind. Die Sexyness ist bloss die Kehrseite der Verschleierung.
Wenn die kommende Frauengeneration sich nicht auf ihre Stärken (z.B. vernetztes, konsensorientiertes Denken, umsichtige und sinnorientierte Planung, situativer Führungsstil usw.) besinnt, und wenn auf der andern Seite die Mehrheit der Männer sich nicht emanzipiert und Frauen weiterhin entweder als Sexobjekte oder als Gefahr empfindet, dann bleiben Emanzipation und Gleichstellung noch für lange Zeit auf der Strecke. Zum Schaden Aller... Nicht, weil die Frauen alles haben und tun sollen, was die Männer haben und tun können, sondern weil Frauen - zusammen mit emanzipierten Männern - die Welt verändern könn(t)en… zugunsten Aller.
Übrigens: Wie stark Frauen und wie schwach Männer sein können, zeigt das jüngste Beispiel Pussy Riot.

Sonntag, 12. August 2012

Oute mich als hoffnungslos bieder!

In Woody Allens neuem Film „To Rome with Love“ gibt es die herrliche Geschichte vom biederen Buchhalter, der plötzlich berühmt ist, weil die Medien ihn ohne jeden Grund dazu machen. Berühmt sein, einfach, weil man es ist.
Das ist in meinen Augen die Streetparade. Ein „Event“ (welch Zauberwort), der eine Million Menschen anlockt, einfach, weil alle finden, dass dies eine supermegatollenichtzuverpassende Party ist. Ganz klar. Ich bin zu alt, um das beurteilen zu können. Auch wenn ich leidenschaftlich gerne - und jawoll - auch sehr gut tanze… auch den Rave. Und obwohl ich ein ausgezeichnetes Musikgehör und - jawoll - auch den Rhythmus im Blut habe.
Oder vielleicht gerade deshalb?
Ich gebe zu: Ich bin geflüchtet, weil ich viel zu laut dröhnende Bässe nicht mag. Und weil ich supermegatollenichtzuverpassende Anlässe überhaupt nicht mag. Also bin ich nach Bern geflüchtet. In die Altstadt, meine alte Heimat. Wo ein anderer supermegatollernichtzuverpassender Anlass die Menschen anlockte. Allerdings nicht in Zürcherischen Dimensionen.
Wie das halt so geht. Jeder sieht seine Vorurteile bestätigt. Beim Einsteigen in den Zug kam mir eine Gruppe bereits total besoffener Männer johlend und gröhlend entgegen. Mit zwei nicht eben vorteilhaft aufgemotzten jungen Mädchen, die auch schon so Einiges intus hatten. Der Wagen roch nach Bier. Schon am Nachmittag..
Quelle différence in Bern! Mal abgesehen vom hässlichsten Bahnhof der Welt, den ich immer so schnell wie möglich wieder hinter mir lasse, war der Weg in die untere Altstadt so etwas wie ein befreites Aufatmen. Die Menschen sassen oder flanierten in den Gassen,  Menschen jeden Alters, bunt gemischt, alte Damen, fröhliche Kinder, viele schöne junge Mädchen, sexy, aber nicht aufreizend gekleidet, kaum oder gar nicht geschminkt. Stark! Strassen-MusikerInnen, KomödiantInnen, GauklerInnen, AkrobatInnen aus aller Welt richteten sich ein für den Start am 3. Tag des Buskerfestivals, das um 18 Uhr begann und auf den verschiedenen in der ganzen Altstadt verteilten Bühnen bis in die Nacht dauerte. Die Leute haben auch getanzt. Und zugehört. Und sich gefreut. Das Gebotene war vielfältig, teilweise musikalisch hervorragend, witzig, schräg, farbig. Besoffene habe ich keine gesehen. Den ganzen Abend nicht. Erst im Bahnhof wieder die üblichen Alkis.
Im Zug klagte die Schaffnerin über stinkende und verdreckte Abteile (wer bezahlt das eigentlich). Als ich in Zürich ausstieg, sassen und lagen auf dem Perron total erschöpfte, abgelöschte, junge Menschen, viele davon offensichtlich besoffen oder zugedröhnt. Im Gedränge in der Halle knallte eine Petarde, danach ein Gegröhle, das erste Abteil in der S-Bahn war vollgekotzt, am Stadelhofen musste ich mich durch die Einsteigenden aus dem Zug boxen, der Boden klebte, alles war ziemlich gruusig, rund um den Stadelhofen und bei der Tramstation bedeckten fallen gelassenes Papier, halb gegessene Pizzas Becher usw. den Boden... Ich war wieder in Zürich!
Im Tagi hat ein Journalist geschrieben, die Streetparade sei ein Sieg der Eventstadt über das biedere Zürich. Ich oute mich deshalb als hoffnungslos bieder. Auch wenn ich finde, eigentlich sei diese Party total bieder.