Dienstag, 18. September 2012

Ein Hype der Schadenfreude

Wer mag schon Christoph Mörgeli? Wahrscheinlich ist er nicht einmal in seiner eigenen Partei besonders beliebt. Das ist auch kein Wunder, denn ein Mensch wie er, der so keine Hemmungen kennt, Andere zu verletzen und öffentlich zu beleidigen, muss sich nicht wundern, wenn er selber auch nicht geschont wird.
Ich gebe zu, Christoph Mörgeli ist für mich ein rotes Tuch. Nicht, weil er vollkommen entgegengesetzte politische Ansichten vertritt. Nicht, weil er zu den Vordenkern einer Partei gehört, die sich als Vertreterin des „Volkes“ bezeichnet und die Anderen, die nicht der gleichen Meinung sind, d.h. eigentlich die Mehrheit dieses „Volkes“, immer wieder diffamiert. Das ist Politik. Es ist Mörgelis Art der herablassenden Häme, die ich nicht goutiere. Und ganz bestimmt geht es nicht nur mir so. Deshalb ist die Schadenfreude nicht verwunderlich, wie sie sich kurz nach der Veröffentlichung des vernichtenden Berichts über seine Arbeitsleistung breit machte. Sie gehört zu den menschlichen Reaktionen, für die man sich im Nachhinein schämt.
Aber richtig ist auch - und das wissen wir alle: Die Art, wie dieser Bericht an die Öffentlichkeit gelangt ist, wirft Fragen auf. Zum Beispiel, wie und warum der Bericht vorzeitig aus dem Kreis gelangt ist, der ihn eigentlich vertraulich hätte behandeln müssen. Eine Mitarbeiterbeurteilung gehört nicht an die Öffentlichkeit, auch wenn es sich um eine öffentliche Person wie Christoph Mörgeli handelt. Seine Persönlichkeitsrechte wurden damit verletzt und das ist nicht korrekt. Ausserdem untergräbt es die Glaubwürdigkeit und wirft ein schiefes Licht auf alle, die daran beteiligt sind.
Wer trägt die Verantwortung? Der Whistleblower - wie ein Informant, der eine Indiskretion begeht, heute neudeutsch heisst? Was meint dazu die SVP, die den Whistleblower im Fall Hildebrand verteidigt? Oder die Presse, die von der SVP immer wieder dazu aufgerufen wurde, ungeschönt aufzudecken - wenn es um die Andern ging? Muss ein Bericht, der der Presse zugespielt wird, unbedingt veröffentlicht werden? Trägt die Presse die Verantwortung, die Persönlichkeitsrechte zu schützen?
Was nach Veröffentlichung im TA geschah, war ein ausgewachsener Medienhype - mit allem Drum und Dran - auch den Spekulationen wie etwa der Meldung im "Sonntag" über die bevorstehende fristlose Entlassung, die ohne Quellenangabe nicht hätte erfolgen dürfen. Solche Hypes sind immer fragwürdig. Auch wenn man ihnen - im ersten Moment - nur zu gerne erliegt. Viele müssen sich da wohl an der Nase nehmen. Auch ich.
Neben aller Selbstkritik: Ein neuer Chef, der eine Mitarbeiterbeurteilung anordnet ist grundsätzlich im Recht. Unter der Voraussetzung, dass die in der Beurteilung beschriebene massive Kritik zutrifft wäre für mich unverständlich, wenn Christoph Mörgeli nicht entlassen würde. Und ich spreche jetzt auch mal „im Namen des gewöhnlichen Volkes“, das heisst im Namen aller gewöhnlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich nicht leisten können, ihre Arbeit zu vernachlässigen, weil sie sonst ohne Wenn und Aber entlassen werden.
Trotz aller Vorbehalte, wie es gelaufen ist: Mein Mitleid mit Christoph Mörgeli hält sich in Grenzen. Denn dass er jetzt nicht geschont wird, ist unschön, aber auch selbst verschuldet. Er ist in eine Situation geraten, die er - würde es sich um einen politischen Gegner handeln -, ohne Zweifel gnadenlos ausnützen würde. Es ist schlimm, wenn der Ruf eines Menschen zerstört wird, aber noch schlimmer ist es, wenn eine Existenz damit zugrunde geht. Das ist bei Mörgeli ganz bestimmt nicht der Fall. Dazu hat er zu viele einflussreiche Gönner.
Deshalb: Das Mitleid behalte ich mir vor für Menschen, die für ihr Leid nichts können und denen in der Regel nicht geholfen wird.

Freitag, 14. September 2012

Wir alle sind Doppelmoralisten

Kürzlich hat sich Markus Gisler in der AZ über die Doppelmoral der Amerikaner ausgelassen, die den „Verräter“ Bradley Birkenfeld per Gerichtsurteil zum Millionär machte, (wenn er es nicht schon war, denn „Wer da hat, dem wird gegeben“, nicht wahr..?).
Wir empören uns: über die ganz grossen und die kleinen „Ungerechtigkeiten“, manchmal zu Unrecht über bloss vermeintliche Skandale und manchmal zu Recht über unfassbare Dinge, wie zum Beispiel die religiös motivierte Gewalt. Rollt die Welle der Empörung an, sind wir alle irgendwie mittendrin, die einen am Stammtisch, die andern zu Hause am Familientisch oder allein vor dem Fernseher, unter Kollegen bei der Arbeit und ganz besonders und vor allem in den Social Media. Einen Tag lang flattern dann die Twitter wie aufgeschreckte Hühner im Stall herum, bis sich die Aufregung legt, so lange, bis das nächste Skandälchen wieder etwas Leben in die Bude bringt.
Ich empöre mich auch - manchmal völlig unnötigerweise, manchmal zu Recht. Und dann ärgere ich mich über all diese Doppelmoralisten, die ihren Senf dazu geben. Und vor allem ärgere ich mich über mich, weil ich genauso dazu gehöre. Wie gerade jetzt. Denn ich schreibe ja nicht, weil ich gerade nichts anderes zu tun habe, ich schreibe es auf, weil ich meine Meinung kund tun will. Irgendwie. Obwohl mir vollkommen bewusst ist, dass im Grunde genommen niemand auf meine Meinung gewartet hat. Oder vielleicht gerade deshalb? Legitimiere ich meine virtuelle Existenz, indem ich mich immer wieder mal bemerkbar mache?
Es wäre zutiefst beunruhigend, wenn Menschen sich nicht über die Ungerechtigkeit empörten. Das würde bedeuten, dass es keine Empathie gäbe. Doch es gibt die Empathie, wissenschaftlich erwiesen, also kann man davon ausgehen, dass die Empörung in den meisten Fällen echt ist. Im Moment. Aber wenn die Empörung nur so lange dauert, bis sie getwittert ist, dann ist das eben keine Empörung, dann ist das bloss das übliche „Dampf ablassen“. Sozusagen die tägliche Seelenhygiene. Oder das Buhlen um Aufmerksamkeit. Oder ein Spiel, ein durchaus lustvolles manchmal, wie ich zugeben muss.

Um auf den Ärger von Markus Gisler zurück zu kommen: Er wirft der amerikanischen Justizbehörde vor, sie setze ein falsches Signal. Wenn der Staat schon ein solches Unrecht begehe, weil es ihm nütze, dann werde auch jeder Bürger und jede Bürgerin genau so handeln, nach dem Prinzip, „erst mein Vorteil, dann die Moral“. Ja, sagen Sie mal, Herr Gisler, ist es denn irgendwo auf der Welt anders?? „Der Staat“, resp. seine Vertreter, handeln Verträge aus, die dem „Staat“ nützen, Unternehmen, resp. deren Vertreter, planen, was dem Unternehmen nützt, die „Kirchen“ behaupten im Namen ihrer Religionen, was ihnen nützt, Parteivertreter erzählen, was der Partei nützt, usw. Die Menschen machen (und glauben), was ihnen nützt - (mal abgesehen von den wenigen wahrhaften Altruisten, die nie zuerst an sich denken.) Beinahe alles, was wir tun, geht auf Kosten von irgend jemand oder irgend etwas Anderem. Also sind wir alle irgendwie Doppelmoralisten.
Wo zu also die Empörung? Ich denke schon, dass sie wichtig ist. Ihr Gegenteil wäre die Gleichgültigkeit, und die wäre noch fataler. Das Problem ist nur, dass Empörung allein noch keine Wirkung hat. Auch nicht die getwitterte. Trotzdem ist das „Dampf ablassen“ manchmal richtig. Es zeigt uns, dass wir mit unserer Empörung nicht allein sind.
A propos. Ich empöre mich gerade über diesen scheissdummen Film, über die Tatsache, dass ein koptischer Christ, offenbar ein Ägypter, sich als Jude ausgibt, um noch ein bisschen zusätzlich zu schüren, über die Tatsache, dass auch ein evangelikaler Pastor mitgemischt hat - auch wenn es mich nicht erstaunt... Aber ich empöre mich auch über diese unsäglichen religiösen Fanatiker, die jetzt dieses schmierige Filmchen zum Anlass nehmen, einen Flächenbrand in Gang zu setzen. Und ich empöre mich darüber, dass sich viel zu wenig auch darüber empören. Und ich empöre mich darüber, dass man nicht darüber sprechen kann, dass die Welt ohne Religion wahrscheinlich besser würde.

Dienstag, 11. September 2012

Bloss eine Frage des Alters?

Ich mag keinen Lärm. Schon als Kind nicht. Wenn es mir zu bunt wurde, flüchtete ich auf die Treppe des Hühnerstalls, wo mich niemand störte. Als Teenager liebte ich die Beatles und die Rolling stones - ja, beide -, aber damals ging es auch noch um Musik, und man drehte die Bässe noch nicht so auf, bis die Gedärme zittern.
Ich weiss nicht, wie das Andern geht. Ich hasse diese lauten Bässe. Ich werde wütend, wenn ein selbstverliebter Gockel mit geöffnetem Fenster und aufgestützten Ellbogen im Auto heranfährt und ich die Bässe kilometerlang vorher schon hören muss - unfreiwillig, versteht sich. Die Bässe schlagen gegen meinen Herzrhythmus, sie stören meinen Lebensfluss, irritieren mich, besonders nachts, sie machen mich irgendwie krank. Merke nur ich das?
In letzter Zeit macht sich ein neuer Trend bemerkbar: Junge Leute ziehen ihre riesigen Verstärker auf Rädern wie einen Rollkoffer hinter sich nach. Dazu lassen sie ihre für meine Ohren ziemlich einfältige Pum-pum-Musik auf voller Lautstärke dröhnen - auch nachts. Ich finde das, gelinde gesagt, eine Zumutung. Bin ich die Einzige? Bin ich bloss zu alt, die Jugend zu verstehen?
Bin ich die Einzige, die manchmal denkt, dass viele Jugendliche in der Schweiz verwöhnt sind und nicht mehr gelernt haben, Rücksicht auf die übrigen Mitglieder der Gesellschaft zu nehmen? In Bern demonstrieren junge Leute für mehr Partyräume. Ist das zu fassen? Ist denn ihr Leben so armselig geworden? Haben sie nichts anderes mehr, wofür sie sie sich einsetzen können?
Zugegeben, meine Generation war wohl die glücklichste aller Zeiten. Als wir jung waren, dachten wir, wir könnten die Welt verändern. Wir gingen auf die Strasse, politisierten für eine bessere Welt - selbstverständlich, was wir darunter verstanden. Wir waren wild und unsere Rebellion schoss häufig übers Ziel hinaus, aber wir nahmen teil, engagierten uns und fühlten als wichtige Mitglieder der Gesellschaft. Unsere Motivation, auf die Strasse zu gehen, war eine ganz Andere als heute. Besonders von uns Frauen. Aufgewachsen sind wir häufig in Elternhäusern, wo vor allem Verbote herrschten, in einer Gesellschaft, wo tradierte Wertvorstellungen galten mit klaren Rollenverteilungen. Die Freiheit, die heute so selbstverständlich ist, mussten wir uns erst erkämpfen. Eine gesellschaftliche Freiheit, deren Wert und Bedeutung viele junge Menschen heute kaum noch erahnen.
Es ist nicht die Schuld der jungen Menschen, die denken, sie hätten das Recht, sich alles zu erlauben. Es ist die Schuld der Eltern, die keine Grenzen mehr setzen. Und ein bisschen ist es auch die Schuld meiner Generation, die ihre Kinder zu solchen Eltern erzogen hat. Zu egoistischen Eltern, die sich nur noch um das individuelle Fortkommen und nicht um ihre Verantwortung in der Gesellschaft kümmern. Woher sollten es ihre Kinder lernen?
Wenn ich lese, wie viele Schüler in Deutschland heute glauben, unter Hitler sei Deutschland eine Demokratie gewesen, wenn ich lese, dass in islamischen Ländern Hitler als grosser Staatsmann verehrt wird und wenn ich an die rassistischen Entgleisungen von SVP-Mitgliedern denke, erschrecke ich. Wenn im Zeitalter der überall zugänglichen Informationen das allgemeine Wissen derart dramatisch abnimmt, bekomme ich Angst. Es gäbe so viel, wofür sich die jungen Menschen heute einsetzen könnten, nicht nur in den Nahost-Staaten, wo die ersten zaghaften Versuche für eine demokratischere Gesellschaft schon wieder zu scheitern drohen.
Es ist eine banale Tatsache: Die eigene Freiheit darf nur soweit gehen, als sie die Freiheit des Andern nicht einschränkt. Eine Gesellschaft braucht eine kritische Jugend, die sich für ihre Anliegen einsetzt. Aber nicht für Partys. Oder für Botellóns.
Und jetzt bin ich wieder beim Lärm. Muss es wirklich immer so laut sein? Ist meine Überempfindlichkeit auf unnötigen Lärm, den ich als Respektlosigkeit mir gegenüber empfinde - mir und allen andern, die den Lärm auch nicht mögen -, ist das bloss eine Frage des Alters?