Samstag, 1. Dezember 2012

„Schluss mit dem Gequengel“…

…schreibt Birgit Schmid in ihrer Polemik über den Lifestyle-Feminismus - gross aufgemacht auf der Titelseite des heutigen TA-Magazins, illustriert mit einer schönen, jungen Frau, Typ Männertraum, samt dem perfekt geformten, mit dem langen, blonden Haar leicht verhüllten, nackten Busen. Vermutlich ein Mitglied der Femen, den ukrainischen Feministinnen, die öffentlichkeitswirksam gegen Sexismus protestieren und sich politisch für mehr Freiheit und Demokratie einsetzen.
Die Illustration ist wohl zur Untermalung gedacht… Moment... zu welcher Aussage denn jetzt…???
Nun ist eine Polemik explizit dazu da zu provozieren. Deutlich angekündigt im Untertitel:  „Warum das Gerede über benachteiligte Frauen nur noch nervt“. Also deute ich die seltsame Verknüpfung der optischen und der verbalen Aussage erst mal als gekonnten redaktionellen Trick, die Aufmerksamkeit sowohl der weiblichen als auch der männlichen Leserschaft zu gewinnen, und beschliesse, mich vorerst nicht zu ärgern.
Während des Lesens frage ich mich allerdings, wie alt Birgit Schmid wohl sein könnte. Ich schlage nach und erfahre - sofern ich sie richtig gegoogelt habe - dass sie vermutlich einer Generation Frauen angehört, die tatsächlich nicht mehr um ihre Rechte kämpfen musste, jedenfalls diejenigen unter ihnen nicht, für die alle Voraussetzungen schon da waren: Das Umfeld, in das sie geboren wurden, die Bildungschancen, die ihnen schon im Kindesalter zur Verfügung standen, die Branche, in der sie heute arbeiten und womöglich sogar den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten. Vielleicht steht ihnen eine Karriere in die oberste Etage offen und dazu noch ein Mann zur Seite, der bereit ist, die Arbeit im Haushalt und die Kindererziehung gleichverpflichtet zu übernehmen, sofern man diese Aufgaben nicht sowieso outsourced. Wo das alles zutrifft, kann man mit Fug und Recht behaupten, diese Frauen seien nicht benachteiligt. Es gibt sie tatsächlich. Aber: für wie viele gilt das?
Ich bin weder benachteiligt, noch zähle ich mich zu den Feministinnen. Jedenfalls nicht zu den Hardcore-Feministinnen, die jegliches Übel auf genderbedingte Ungerechtigkeiten zurückführen. Auch ich habe mich schon oft genervt über feministische Larmoyanz und Humorlosigkeit, über Klagen auf allzu hohem Niveau, über lächerliche Empfindlichkeiten, über unrealistische Forderungen auf der einen und die Verweigerung von Pflichten auf der andern Seite, über die einseitige Sichtweise mancher Feministinnen, die ausklammern, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer mit den Ungerechtigkeiten dieses Lebens konfrontiert sind. Und ich ärgere mich über die zunehmende Zahl von infantilisierten Frauen, denen Aussehen und Highheels wichtiger sind als Wissen und Verstehen. Die Liste liesse sich verlängern…
Es ist richtig, dass die Klagen westlicher Frauen lächerlich tönen im Vergleich zu den Ungeheuerlichkeiten, denen Frauen in vielen anderen Kulturen ausgesetzt sind. Es ist richtig, dass weder Gleichmacherei noch die Umkehrung ins Gegenteil der richtige Weg sein können. Und es ist auch richtig, dass es unter anderem eine Frage der Persönlichkeit ist, ob eine Frau sich für eine Karriere entscheidet oder eben lieber zu Hause bleibt und sich den Kindern und der Familie widmet… sofern sie die Möglichkeit dazu hat.
Was Birgit Schmid ausklammert: Wir Frauen bewegen uns nach wie vor auf dünnstem Eis. Das bisher Erreichte lässt sich zwar sehen, aber es ist längst noch nicht so verankert und gefestigt, dass es zur Selbstverständlichkeit geworden wäre. Nach wie vor fehlen vielerorts die infrastrukturellen Voraussetzungen, die es beiden Ehepartnern ermöglichen, wirklich frei zu entscheiden, wie sie sich nach der Geburt eines Kindes organisieren, nach wie vor ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit längst nicht überall gültig, nach wie vor werden Männer den Frauen vorgezogen, wenn es um Führungsaufgaben geht. Nach wie vor werden die Machtstrukturen dieser Welt von Männern gebaut. Nach wie vor prägt die männliche definierte Vorstellungswelt die Strukturen der Wirtschaft. Ein Beispiel dafür ist etwa die Behauptung, Führungsaufgaben liessen sich nicht teilen. Auch hier liesse sich die Liste verlängern.
Frauen und Männer sind anders. Sie werden in der Regel unterschiedlich sozialisiert und haben entsprechend unterschiedliche Sichtweisen. Zum Glück. Ich bestreite jedoch die evolutionspsychologische Theorie von der genetisch bedingten typisch männlichen und typisch weiblichen Verhaltensweise. Wir alle haben männlich und weiblich definierte Anlagen. Unsere Verhaltensweise ist nur zum Teil genetisch bedingt, zu einem grossen Teil ist sie anerzogen, und wahrscheinlich zum grössten Teil kulturbedingt. Und in unserer Kultur prägt nach wie vor die als männlich definierte Vorstellungswelt sowohl die Politik als auch die daraus resultierende gesellschaftliche Norm.
Die Frauen in der westlichen Welt haben gelernt, sich ihre Rechte zu erkämpfen. Das ist gut so. Aber von einer Gleichberechtigung, die immer auch eine Gleichverpflichtung ist, sind wir noch weit entfernt. Auch bei uns.
Damit die Frauen nachhaltig mitgestalten können, brauchen sie den selbstverständlichen Zugang zur Macht - zur politischen und wirtschaftlichen. Und zur institutionellen Macht, ganz besonders der kirchlichen, denn diese prägt die Moralvorstellung der jeweiligen Zeit, die sich wiederum in der gesellschaftlichen Norm festsetzt.
Politisch artikulierter Feminismus nervt nicht, nur falsch verstandener. Vielleicht meinte Birgit Schmid mit ihrer Kritik am modischen ,Lifestyle-Feminismus‘ ja genau das.