Donnerstag, 9. April 2015

Wie souverän ist der Souverän?

Alternative zu den Vorschlägen von Avenir Suisse: Für eine Zweidrittelmehrheit bei Verfassungsinitiativen.
Wir, das "Volk", sind der "Souverän"! Welch hehre Formel! Inbegriff der Freiheit schlechthin! Die Partei, die diese Formel für sich in Anspruch nimmt, hat eine der Grundvoraussetzungen begriffen, wie sie ihre Anliegen diesem "Volk" am besten verkaufen kann.
"Der Souverän" (als Substantiv) bedeutet so viel wie Staatsgewalt, "souverän" (als Adjektiv) ist man, wennn man eine Aufgabe perfekt beherrscht und sich auch so – eben "souverän" (als Adverb) – verhält.
Mal abgesehen davon , dass der Begriff "Volk" ein manipulierbarer ist, und dass die in Abstimmungen erzielten, manchmal bloss zufälligen Mehrheiten von politischen Interessenvertretern für ihre jeweils eigenen Zwecke usurpiert werden, stellt sich die Frage: Ist das "Volk" in einer zunehmend komplexer werdenden, vernetzten Welt (noch) "souverän" genug, weitreichende, das Schicksal zukünftiger Generationen mitprägende Entscheidungen zu treffen?
Sie fragen sich vielleicht, warum jemand wie ich das Bedürfnis hat, solche Gedanken öffentlich zu machen. Ich bin weder bekannt, noch aus einem bestimmten Grunde besonders dafür qualifiziert. Aber ich denke, ich gehöre zu der "Mehrheit" im "Volk", die parteiungebunden ist, und die sich zunehmend Sorgen um die Zukunft macht. Nicht nur generell, sondern insbesondere auch im Hinblick auf nationalistische Abschottungstendenzen, die für mich den Keim einer äusserst gefährlichen und unguten Entwicklung enthalten. Und die für mich ein Rückschritt in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft bedeuten. Analog den religiösen Rückfällen bis ins tiefste Mittelalter. In der Schweiz und anderswo. Meine Überlegungen zur laufenden Debatte über Verfassungsinitiativen, resp. den Vorschlägen von Avenir Suisse stehen in diesem Zusammenhang.
Vorausschicken möchte ich auch noch: Ich kann und will mich nicht kurz fassen, denn ich möchte den Vorschlag, den ich mache, soweit es mir möglich ist, seriös begründen. Ich kann also nur diejenigen ansprechen, die sich die Zeit nehmen, weil die sie Frage wichtig finden. Und wenn jemand tatsächlich bis zum Ende durchhält und dann meine Überlegungen richtig findet und meine Schlussfolgerung teilt, dann würde es mich freuen, wenn er oder sie mithilft, die Idee einer Zweidrittelmehrheit bei Verfassungsinitiativen zu verbreiten. Sie ist nicht neu, und ich selber bin schon lange dieser Meinung, aber sie ist bei den Vorschlägen von Avenir Suisse nicht dabei. Das ist der Grund, weshalb ich sie hier (wieder) ins Spiel bringe. Denn nur mit einer Zweidrittelmehrheit entspricht das Resultat höchstwahrscheinlich dem tatsächlichen, resp. dem entsprechend bekundeten Willen der "Mehrheit". Die Zweidrittelmehrheit ist sicher nicht überall angebracht, aber sie ist meiner Meinung nach absolut zwingend, wenn es um weitreichende, zukunftsrelevante Abstimmungen geht, die in der Verfassung verankert werden.
Zuerst ein paar Überlegungen zur direkten Demokratie.
Nach dem 9. Februar 2013 höre ich immer öfter, dass die direktdemokratische Staatsform angesichts der Komplexität der Herausforderungen der Zukunft überholt sei, insbesondere, wenn es um aussenpolitische und damit verbundene Themen gehe.
Diese Aussage postuliert ein deutliches Misstrauen dem so genannten "Volk" gegenüber, einem "Volk", das Entscheidungen trifft, die für alle anderen, die damit nicht einverstanden sind, ganz und gar unerträglich geworden sind. Die Aussage bedeutet, dass man dem "Volk" die Intelligenz nicht mehr zutraut, vernunftbegabte, zukunftstaugliche Entscheide zu treffen.
Das Misstrauen ist verständlich. Es gründet auf der tiefen Enttäuschung über die Tatsache, dass immer mehr Menschen wie die Lemminge populistischen Parolen folgen, am häufigsten denjenigen der Nationalkonservativen, die das Fach der propagandistischen Manipulation besonders perfekt beherrschen und das Instrument der direkten Demokratie besonders schamlos ausnutzen, es inhaltlich aushöhlen und pervertieren. Jetzt gerade wieder mit der unsäglichen Initiative gegen "fremde Richter", die sich unter anderem gegen den Menschenrechtsgerichtshof richtet. Das heisst, die Initianten wollen übergeordnete Rechte, zu denen Menschenrechte und das Völkerrecht gehören, dem Landesrecht, resp. dem Schweizer "Souverän" unterstellen. Die Begründungen der Nationalkonservativen sind weder stichhaltig noch rechtlich (Dazu der Kommentar von Andreas Auer: http://beta.nzz.ch/meinung/debatte/die-abschaffung-der-demokratie-durch-demokratie-1.18520748 )
Das Markenzeichen der Nationalkonservativen ist das Bewirtschaften der diffusen Ängste im "Volk", die sie sehr gekonnt einsetzen, um die eigene Machtbasis zu stärken. Nur darum geht es ihnen. Sonst würden sie nicht bloss Ängste bewirtschaften, sondern innerhalb der Konsensdemokratie nach tauglichen Lösungen suchen.
Einen tauglichen Konsens zu finden ist die grösste Leistung, die ein Politiker zugunsten eines "Volkes" erringen kann. Selbstverständlich gehört das Ringen um die Argumente dazu, selbstverständlich ist jede Partei interessiert, die eigene Position im Namen ihrer Wählerschaft zu verteidigen. Dafür ist das Parlament da, dort soll diese Auseinandersetzung stattfinden. Aber einer Demokratie nicht würdig ist ein Verhalten, das jeden Konsens als billige diffamiert.
Zu den zukunftstauglichen Lösungen gehört auch der Konsens, den man mit anderen Staaten findet, indem man Verträge schliesst und diese einhält. Oder indem man übergeordnetes Recht ankerkennt. Und genau dem widersetzen sich die Nationalkonservativen. Ich mag sie aus diesem Grund auch nicht zu den Bürgerlichen zählen. Sie sind nicht glaubwürdig.
Völkerrechtswidrige oder undurchsetzbare Initiativen wie die vom 9. Februar untergraben die Glaubwürdigkeit der direkten Demokratie. Trotzdem wäre es falsch, diese Entwicklung einer einzigen Partei anzulasten. Sie ist letztlich das Resultat der Schwäche aller anderen Parteien, deren opportunistisches Verhalten in den letzten zwei Jahrzehnten viel zur jetzigen Situation beigetragen hat.
Auch alle anderen Parteien legitimieren sich im Namen ihrer Wählerschaft. Also letztlich im Namen "ihres" "Volkes". Dazu die Frage: Wer ist denn dieses "Volk"? Ganz sicher keine homogene, emulgierte Masse. Und auch kein erratischer Block. Sondern eine vielschichtige, ganz und gar uneinheitliche Gemeinschaft, die sich den sich stets wandelnden Gegebenheiten anpasst, so gut es eben geht.
So sind Abstimmungsresultate wie die 50,3 Prozent vom 9. Februar häufig nur Zufallsresultate und ganz sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn sie stellen nicht den Willen der Mehrheit des "Volkes" dar, wie die Politiker der Gewinnerseite allzu gerne verkünden. Ganz besonders nicht, wenn der Ausgang so knapp ausfällt.
Wenn man davon ausgeht, dass schätzungsweise zwischen 70 und 80 % der Gesamtbevölkerung stimmberechtigt sind (genau weiss ich es nicht) und von diesen 80 % Stimmberechtigten (gut gerechnet, wahrscheinlich sind es eher weniger) rund 60 % (wie am 9. Februar) an die Urne gegangen sind, dann ist die Hälfte davon, also 30 von den 60 % bloss rund ein Drittel der 80 % Stimmberechtigen. Mal abgesehen von den unter 18Jährigen, die noch nicht stimmberechtigt sind und den (zu) alten oder kranken Menschen, die nicht an die Urne gehen können oder wollen: Was ist mit all den "Nicht-Stimmberechtigten", all den Menschen, die im unserem Land arbeiten, die zu unserem Wohlstand beitragen, aber nicht gefragt werden?
Das heisst: Nicht die Mehrheit des "Volkes", sondern lediglich ein Drittel der Stimmberechtigten hat am 9. Februar über eine Frage von zentraler Bedeutung entschieden. Das ist auch im demokratischen Sinne höchst unbefriedigend. (Allein schon deshalb ist die Intiative RASA www.initiative-rasa.ch absolut legitim.)
Jetzt könnte man sagen: Geschieht denen Recht, die nicht an die Urne gegangen sind. So sind halt die Spielregeln der Demokratie. Aber das würde bedeuten zu resignieren. Und das wäre in der Tat verheerend.
An die Urne gehen in der Regel grundsätzlich politikinteressierte, an einer Frage besonders beteiligte oder interessierte oder ideologisch geführte Stimmbürger. Das war noch nie anders. Zunehmend werden aber die aussenpolitischen Fragen zentral. Denn in einer globalisierten, vernetzten Welt gewinnen sie gegenüber den innenpolitischen Fragen nicht nur an Bedeutung, sondern sie sind von besonderer Relevanz, was die Zukunft betrifft.
Die aussenpolitischen Auswirkungen des Entscheids vom 9. Februar sind noch nicht absehbar. Womöglich sind die bilateralen Verträge gefährdet. Mit allen zusätzlichen, in ihrem vollen Ausmass kaum einzuschätzenden Schwierigkeiten, die damit auf uns zukommen. Gleichzeitig wird die Schweiz nicht umhin kommen, sich der internationalen Gemeinschaft anzupassen. Das Bankgeheimnis, eine weitere Schweizer Heiligkeit, wird irgendwann fallen. Darüber bestehen kaum noch Zweifel.
Somit drängen sich zwei Fragen auf:
1. Ist also die direkte Demokratie bloss noch eine Farce, ein Relikt, das für die Herausforderungen der Zukunft nicht mehr tauglich ist, wie ich es ab und zu höre? (Ich klammere hier mal die gut gemeinten Ratschläge von ausländischen Besuchern aus, denen das Wesen der direkten Demokratie schlicht nicht einsehbar ist, weil sie ein anderes Verständnis des Staates haben.)
2. Könnten Entscheide, wie derjenige vom 9. Februar vermieden werden, wenn die direkte Demokratie zwar nicht abgeschafft, so doch zumindest auf nationaler Ebene eingeschränkt würde? Wäre das ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma?
Zur ersten Frage: Die direkte Demokratie ist wohl der wichtigste Grundpfeiler der Willensnation Schweiz überhaupt. Sie entspricht dem Selbstverständnis der Schweizerinnen und Schweizer schlechthin. Sie abzuschaffen ist erstens politisch völlig undenkbar und würde zweitens bedeuten, das föderalistische Fundament zu untergraben, auf dem die Schweiz gebaut ist. Damit erübrigt sich, diese Frage überhaupt ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Bleibt die zweite Frage: Kann direkte Demokratie überhaupt eingeschränkt werden? Wenn ja, wo und in welchem Ausmass? Sollen beispielsweise aussenpolitische Entscheide künftig dem Bundesrat und/oder dem Parlament vorbehalten bleiben? Auch das ein Vorschlag, der mir immer öfter begegnet, hauptsächlich in linksintellektuellen Kreisen.
Die Idee hat etwas Bestechendes. Man delegiert an diejenigen, die sich von Amtes wegen damit befassen, und die demzufolge informierter und dementsprechend kompetenter sind. Wäre damit die Gefahr behoben, dass Entscheide wie derjenige vom 9. Februar getroffen werden können?
Vielleicht. Aber nicht unbedingt. Wer garantiert mir, dass ein Parlament die besseren Entscheide trifft? Wer garantiert mir, dass dort keine Allianzen geschmiedet werden, die meinen Interessen genauso zuwiderlaufen? Wer garantiert mir, dass sich im Bundesrat und Parlament diejenigen durchsetzen, die meine Position vertreten? Niemand. Nur wären dann die gefällten Entscheide dem direktdemokratischen Korrektiv entzogen.
Zugegeben: Die jetzige Situation ist zweifellos unbefriedigend. Die inflationäre Zunahme der Initiativen dient zunehmend nur noch parteigebundenen Interessen. Die Diskussion, wie man diesen Missbrauch einschränken kann, ist deshalb sinnvoll.
Eine mögliche Lösung unter anderen ist tatsächlich die Anhebung der Unterschriftenzahl, wie das Avenir Suisse vorschlägt. Die Hürde zu erhöhen wäre letztlich nur die sinnvolle Anpassung an die gewachsene Bevölkerungszahl auf die ursprünglichen Grössenverhältnisse.  Auch die anderen Vorschäge, darunter die Gesetzesinitiative, sind bedenkenswert.
Jedoch vermisse ich bei den Vorschlägen den für mich allerwichtigsten Punkt, nämlich die Einführung einer Zweidrittelmehrheit bei so relevanten Abstimmungen wie Verfassungsänderungen. Es gäbe dafür zwei Möglichkeiten: Entweder zwei Drittel der tatsächlich Abstimmenden oder die Hälfte sämtlicher Stimmberechtigten müssten ihre Zustimmung geben. Nur so liesse sich der tatsächliche Wille der Mehrheit der Bevölkerung einigermassen zum Ausdruck bringen.
Dazu noch einige weitere Vorschläge, die im Zusammenhang mit einer geänderten Formel berücksichtigt werden könnten/sollten/müssten:
1. Der Grundsatz, dass Menschenrecht vor Völkerrecht und Völkerrecht vor Landesrecht gilt, müsste in der Verfassung verankert werden, resp. der bekundete Wille des Schweizer Souveräns, sich den international gültigen Standards einer modernen Völkergemeinschaft anzuschliessen.
2. Bevor eine Verfassungsinitiative vors Volk kommt, müsste sie zwingend auf ihre Durchsetzung im Sinne von Punkt 1 geprüft und nach allgemein verbindlichen Kriterien formuliert werden.
3. Zugelassen dürfte eine Verfassungsinitiative nur dann, wenn sie diesen allgemein verbindlichen Kriterien entspricht. Insbesondere dürfte ein Titel keine irreführenden Aussagen enthalten (jüngstes Beispiel: "Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)", wie auch Andreas Auer fordert.
4. Für den Streitfall bräuchte es eine politische unabhängige Instanz. Zum Beispiel ein Verfassungsgericht.
Wären die Schweizerinnen und Schweizer souverän genug, eine solche Einschränkung zu akzeptieren?
Denkbar ist, dass ein "Volk" sich gewisse Einschränkungen selber auferlegt – vorausgesetzt, sämtliche Parteien links der rechten Ecke ziehen vereint mit. Leider liegt genau da der Hase im Pfeffer, das heisst, die Parteien sind letztlich Teil des Problems, da sie häufiger mit der Eigenprofilierung beschäftigt sind, als an Gesamtlösungen interessiert.
Gerade hat die FDP nach vielen Jahren der Demütigung bei den Wahlen wieder zugelegt. Sie hat vor allem Wechselwähler zurück gewonnen, die je nach politischer Wetterlage mal dieser, mal jener Partei mehr zutrauen.
Aber die FDP bräuchte vor allem eine Stammwählerschaft, die weiss, woran sie ist. Das heisst, eben nicht mit neoliberalen und rein wirtschaftspolitischen Interessen, wie das von einigen Vertretern der FDP auch gefordert wird, sondern mit einer (im ursprünglichen Sinne) liberalen Haltung. Eine Haltung, die soziale Verantwortung und Solidarität und die Verantwortung für die Umwelt in jedem Fall miteinschliesst, eine Haltung, die Bildung und Gesundheit als wichtigstes Gut betrachtet und die die Bedingungen für die Wirtschaft nicht nur mit Sparen und in Steuersenkungen optimieren will. Damit würde sie wieder glaubhaft als staatstragende Partei und wählbar für jene Menschen, die sich von einer Partei vor allem zukunftsgerichtete Rezepte erhoffen. Keine von Fall zu Fall Politik, keine billigen Allianzen, sondern eben: eine Haltung.
Und vor allem: Damit würde sie sich abgrenzen von den SVP-Strategen, die ihre neoliberale Haltung hinter nationalkonservativen Anliegen verstecken und ihre Basis mit populistischen Initiativen bei der Stange halten.
Sieht man die SVP insofern als eine Gefahr, als sie die direkte Demokratie missbraucht, sie inhaltlich aushöhlt und untergräbt, (und das tue ich), dann müssten alle demokratischen Kräfte aller Parteien sich zusammentun, um vereint gegen eine rückwärtsgewandte, mythenverklärte Schweiz und für eine moderne, zeitgemässe Verfassung einstehen (inkl. dem oben genannten Punkt 1).
Leider ist diese Vorstellung ziemlich unrealistisch.
Deshalb ist auch der Glaube, ein Parlament oder eine Regierung treffe a priori die besseren Entscheidungen als das "Volk", unrealistisch. Die meisten ParlamentarierInnen sind von der Komplexität genauso überfordert, wie wir alle. In jedem Parlament gibt es immer nur ein paar wenige, gänzlich unabhängig denkende, wirklich gescheite Köpfe. Diese sind selbst in Regierungen eher die Ausnahme. Alle anderen sind genauso viel oder genauso wenig souverän, wie wir alle, das heisst, sie bleiben in ihren Entscheidungen genauso wenig oder so viel beeinflusst, wie wir alle, und sie sind auch nur ganz selten ausschliesslich der sachlichen Vernunft, resp. einer Gesamtheit verpflichtet, wie wir alle. Sei es, weil sie ausschliesslich ihrer Parteidoktrin folgen, sei es weil ihre Meinung von einflussreichen Lobbyisten geprägt ist, sei es, weil sie vom Ehrgeiz getrieben sind, von der eigenen Klientel wieder gewählt zu werden, oder sei es, weil sie schlicht und einfach nur eigene Interessen verfolgen. Sie sind so urteilsfähig oder eben nicht, wie wir alle.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Ist das Schweizer "Volk" (noch) souverän genug, die direkte Demokratie verantwortungsbewusst auszuüben?
Eigentlich ist die Frage falsch gestellt. Die Frage müsste lauten: Ist das Schweizer "Volk" reif genug, die Freiheit auszuhalten und sie entsprechend verantwortungsbewusst und solidarisch zu leben? Eine Freiheit, wie sie nota bene kein anderes Volk auf dieser Welt kennt!
Und man müsste sich fragen: Ist das Schweizer "Volk" in der Lage, sich dem nationalistischen Trend, der sich rund um sie aufbaut und der auch vor der Schweiz nicht Halt macht, in letzter Konsequenz zu widerstehen? Ein Trend der aus der Verunsicherung ensteht, aus der Überforderung, angesichts der unzähligen, schier unlösbaren Probleme dieser Welt. Auf sich selbst zurückziehen, sich einigeln, die Decke über den Kopf ziehen. Und das Übel bei den Anderen zu suchen. Das ist unreifes Verhalten. Aber es ist auch irgendwie verständlich. Ich vermute, dass jeder Mensch das manchmal am liebsten auch tun möchte.
Die Entwicklung der letzten Jahre macht auch mich unsicher. Und ich kann verstehen, wenn jemand zweifelt, ob das "Volk",  ob wir alle, noch in der Lage sind, in einer immer komplexer werdenden Welt noch die richtigen Entscheide zu treffen.
Trotzdem: Die Frage mit einem Nein zu beantworten, kommt für mich nicht in Frage. Es wäre nicht bloss ein Resignieren, es wäre eine Kapitulation. Es wäre der Verrat an der Idee, Menschen seien grundsätzlich vernunftbegabte, solidarische Lebewesen. Und es wäre das Leugnen der eigenen Verantwortung. Sie zu delegieren wäre zwar die einfachste, aber kaum die beste Lösung. Darum: Sollte es tatsächlich wieder mal sehr ernst werden, so ist für mich die direkte Demokratie mit ihrem konsensorientierten Mehrparteiensystem noch immer die sicherste Garantie, Allerschlimmstes zu verhindern. Vorausgesetzt, die tatsächliche "Mehrheit" entscheidet. Und nicht bloss ein Drittel der Stimmberechtigten.